Mittwoch, 11. Juni 2025

Auschwitz - ohne Trillerpfeife

Auschwitz, fast 200 ha gross, liegt zwischen dem Flüsschen Sola und der Weichsel, in die sie mündet. Eine Art Insel, wo man nicht durch Zufall landet. Die Flusslandschaft mit der langsam fließenden Weichsel sorgt dafür, dass das Gebiet sumpfig und feucht ist. Durch Trockenlegung ist es im Sommer trotzdem drückend und bei kühleren Temperaturen nasskalt.

Gleich vorneweg: Die Ausstellung in Auschwitz, die Führung und die Informationen könnten nahb6arer, moderner und aktueller sein; der Einsatz neuer Medien wäre hilfreich. Die Kopfhörer sollen gewährleisten, dass der Vortrag des Guides zu hören ist, weil so viele Einzelgruppen kurz hintereinander unterwegs sind und somit der Geräuschpegel hoch ist.

Die Informationsschilder im Konzentrationslager Auschwitz I und im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sind in polnisch, englisch und hebräisch. Strange, geradezu zum Schämen erscheint die restliche Vokabelausstattung, die in deutsch ist: "Block 11", "Halt!" und "Arbeit macht frei" mit dem verqueren "B". Das sehen andere Nationalitäten auch. Es gibt Führungen in Englisch  Französisch, Spanisch, ....

Der Besuchereingang gleicht der Abfertigung beim Flughafen. Beim Durchleuchten der Rucksäcke kommt leicht Panik auf und ich werde herausgewunken. Mein Schlüsselbund ist verdächtig. Ich denke gerade an mein Schweizermesser Mini Classic Sd mit Nagefeile, Zahnstocher und Schere. Nein, was die 3 Sicherheitsleute interessiert ist meine 5cm lange Troika-Trillerpfeife, die mich seit 30 Jahren begleitet. Hilft nicht, sie darf nicht mit auf das Gelände. Eine Pfeife?! Davor hat die polnische Verwaltung Angst... hab ich was verpasst? Ich bitte darum sie nach meinem Besuch wieder abholen zu dürfen. Und das hat mit etwas Umstand geklappt. 
Hinter dem Konzept der Konzentrations- und Vernichtungslager steckt Verwaltung, Logistik (zeitlich "passendes" Eintreffen der Züge an der Rampe), Organisation, Ver- und Entsorgungsstellen, ausgeklügelte Workflows ("Selektion" für Arbeitseinsatz, Gaskammer oder als Probanten für medizinische Versuche im Lager), vernetzte Dienstleisungen, Abhängigkeiten und Profitgier. Das Capo-System korrumpiert mit Privilegien jüdische Häftlinge zu Unteraufsehern und diese haben durch besseres Essen eine Chance auf längeres Überleben. Häftlinge, die bereits längere Zeit im Lager waren, Erfahrungen sammeln konnten und über vieles Bescheid wussten, wurden sicher ermordet, weil sie als Zeugen über die Vorgänge hätten berichten können.
Mit purer Gewalt (Erschiessungen, Elektrozaun), Entmenschlichung (Rasieren der Kopf-und Intimbehaarung), dem Entzug primärer menschlicher Bedürfnisse (nur 1500 Kilokalorien/Tag für Zwangsarbeiter) und perfider Anwendung psychischer Tricks (nummerierte Haken für Kleidung von Menschen, die nicht zurückkommen, weil sie nichts ahnend in die Gaskammer gehen) konnten die Verwaltungsmaschinerie und die SS ein unfassbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit verüben. 



Unfassbar auch, dass die Gerichtsbarkeit nicht alle Schuldigen erwischt hat und etliche Täter unbescholten weiter gelebt haben.

Wir haben frühzeitig zu Hause die 6h-Tour in deutscher Sprache gebucht. Wir sind 14 Leute in der Gruppe, die von Frau Lucyna Filip geführt wird. Sie beschäftigt sich schon sehr lange mit dem Thema und hat Bücher veröffentlicht. So viele Besucher wie jetzt hätten sie noch nie gehabt, obwohl es immer weniger Tourguids gibt. Wir erkundigen uns, ob das Thema nicht krank macht. Lucyna lächelt und meint, dass sie nicht täglich Führungen macht, das könnte sie kraftmässig gar nicht, sondern auch für Schulklassen Workshops veranstaltet.

Uns wird klar, dass die vertuschende und verschleiernde Nazi-Sprache deshalb so verstörend wirkt, weil sie auf deutsch neue deutsche Wortgebilde erfunden hat, die es in anderen Sprachen nicht gibt. 
Die Nazies haben in Auschwitz I zunächst getestet und probiert wie "Insassen der Endlösung zugeführt werden können" ohne "die Kosten und den Aufwand zu erhöhen". Zyklon B war "preiswerter" als Erschießen und "weniger psychisch belastend" für die SS-Leute, die diese Taten vollziehen sollten.

Die Ermordeten bekommen in der Ausstellung in Auschwitz Namen und Gesichter. Von einigen gibt es Fotos. Wir verlieren uns weniger in Zahlen und Statistiken, die kein Leid widerspiegeln.



Auf dem weitläufigen Areal von Auschwitz II besichtigt unsere Gruppe die von den Nazies im Januar 1945 gesprengten Gaskammern und Krematorien. Die Nachwelt sollte vom "Dritten Reich nur Gutes in Erinnerung halten".


Um halb 4 sind wir psychisch und physisch platt. Wir lösen den Bulli für 40 Zloty aus; er hatte sicher auf einem Hotelparkplatz auf uns gewartet. 

Vor dem Supermarkt Delfin in Osiek bewundert ein Niederländer, der in Polen lebt und ein bisschen deutsch spricht, unseren T2 und empfiehlt uns nach Zakopane zu fahren, da ist es schön!






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen